An der augenfälligen Rückwand des Galerieraums sehen wir: nichts. Leerstelle. Sebastian Bühler rückt den Boden des Projektraums in den Fokus, indem er diesen mit der Fotografie eines in die Jahre gekommenen Parkdecks bedeckt.
Klee und der Krieg
Die weitaus größere Schau läuft im H2 im Augsburger Glaspalast unter dem Titel »Mythos Fliegen« und widmet sich im Schwerpunkt den Arbeiten des Künstlers, die vom Eindruck des anbrechenden Ersten Weltkriegs, insbesondere aber von seiner Zeit als Soldat, unter anderem zwischen 1917 und 1918 in der Fliegerschule Gersthofen, beeinflusst wurden. Die zweite Ausstellung ist im Ballonmuseum Gersthofen zu sehen und präsentiert den Münchner Künstler Joachim Jung »Auf den Spuren von Paul Klee«. Über zahlreiche Kooperationsstränge haben es die Veranstalter vom Kulturamt Gersthofen und den Kunstsammlungen und Museen Augsburg geschafft, ein großes Thema mit starkem lokalen Bezug über die sonst oft so unüberwindlich wirkenden Stadtgrenzen zu hieven und zu einem Event für unsere Region zu machen. Ein Modell mit Vorbildcharakter.
»Freiwillig ist Paul Klee nicht nach Augsburg gekommen. Es war der Krieg, der ihn im Januar 1917 zur Königlich Bayerischen Fliegerschule V nach Gersthofen zwang.« Auf diese einfache Formel brachte Christof Trepesch, der Leiter der Augsburger Kunstsammlungen und Museen, den Erstkontakt des Künstlers mit unserer Region.
Es wird wohl ein recht einsamer Aufenthalt gewesen sein. Geprägt von der Angst, doch noch an die Front befohlen zu werden. Das Schicksal der gefallenen Künstlerfreunde vor Augen. August Macke traf am frühen Morgen des 26. September 1914 der tödliche Schuss an der Westfront. Franz Marc, mit dem der erklärte Kriegsgegner Klee eine leidenschaftliche Korrespondenz führte, wurde am 4. März 1916 von Granaten bei Verdun zerfetzt. Einen Tag später sollte Marc als bedeutender deutscher Künstler vom Kriegsdienst freigestellt werden und nach Hause kommen.
Diesen Horror und die Abscheu vor dem Krieg zwischen kaiserlichem Tschinderassabum-Getöse und Schützengräben glaubt man aus vielen der Arbeiten aus dieser Zeit in der Ausstellung »Paul Klee – Mythos Fliegen«, die noch bis zum 23. Februar im Augsburger H2 im Glaspalast zu sehen sind, herauszulesen. Der Kunsthistoriker Shahab Sangestan hat diese sehenswerte und viel beachtete Ausstellung in den letzten Jahren erarbeitet und wunderbare Exponate aus aller Welt nach Augsburg geholt. Die vorwiegend kleinformatigen, extrem lichtempfindlichen Papierarbeiten folgen weitgehend dem Titel der Schau und wurden vom Designerteam KW9 geschickt in Szene gesetzt.
Zwei Pavillonbauten beherrschen die großzügige Loft-Atmosphäre im H2. Im ersten Raum wird der Besucher geradlinig durch mehrere Dokumentationskammern geführt. Hier sollte der Besucher vor allem etwas Muße für die beeindruckende Sammlung von Postkarten, die Klee von Gersthofen und Augsburg aus an seine Frau Lily, Freunde und Bekannte geschrieben hat, mitbringen. Die Dichte dieser Sammlung zeigt auf, wie richtig es war, endlich den Bezug Klees zu unserer Region seiner Bedeutung entsprechend zu präsentieren.
Eine Bedeutung, die ihren Nachhall natürlich im zweiten Pavillon findet. Wie durch Schützengräben schleicht der Besucher bei maximal 50 Lux – die Dämmerung ist der Lichtempfindlichkeit der Bilder geschuldet – durch den Zickzackparcours. In kurzen Abständen werden die Sichtachsen gebrochen. Eine Architektur, die der Aufnahme der oft feinen, kleinformatigen Arbeiten entgegenkommt. Immer wieder finden sich hier Zeugnisse von Klees Zeit in Gersthofen. Sei es durch Motive mit Verweisen auf seine direkte Lebenssituation, wie das berührende Blatt mit der Ansicht seiner Stube samt kurzem Liebesgedicht, oder durch Bilder mit Bezug zu den benachbarten Lechauen oder diversem Fluggerät oder durch das dem Kriegsdienst entzogene Material wie Flugzeugleinen und Kontoführungspapier, vom Künstler unterschlagen, um es als Trägermaterial seiner Fantasie einem besseren Dienst zuzuführen.
»Mythos Fliegen« beweist, welch spannender Multifunktionsraum das H2 eigentlich sein könnte, sobald ein nennenswerter Etat im Spiel ist. Dem Hausherrn Thomas Elsen und allen Kulturfreunden ist zu wünschen, dass ihm und seinem Ausstellungsraum, der eigentlich als »Zentrum für Gegenwartskunst« firmiert und die klassische Moderne sozusagen als Gast auf Zeit willkommen heißt, in Zukunft auch Chancen eingeräumt werden, die Möglichkeiten dieser fantastischen Location auszureizen.
Sein Kollege Thomas Wiercinski vom Ballonmuseum in Gersthofen fand sich beim Antritt seiner neuen Wirkungsstätte vor etwa einem halben Jahr mit gänzlich andern Problemen konfrontiert. Durch den tragischen Tod seines Vorgängers war es nicht möglich, die eigentlich geplante, im Schwerpunkt dokumentarisch angelegte Schau über Klee umzusetzen. Der Saarländer machte aus der Situation das Beste und präsentiert nun mit Joachim Jung in seinem Haus einen Künstler, der sich über lange Jahre hinweg intensiv und handwerklich virtuos mit dem Leben und dem Werk von Paul Klee auseinanderzusetzen wusste. Jungs Werke, vom handlichen Format bis hin zur Großleinwand, hielten Einzug in den nicht leicht zu hängenden Ausstellungsraum, der sich wie ein Halbmond um eine kleine, an den Rängen ansteigende Ringbühne legt. Auch hier ist der Erste Weltkrieg gegenwärtig. Beispielsweise durch Fotoabzüge, die Jung in die Hände fielen und Klee mit seinem Freund Macke bei der gemeinsamen Tunesienreise kurz vor Kriegsbeginn zeigen. Diese Motive nimmt der Künstler immer wieder gekonnt auf und setzt sie konsequent mithilfe unterschiedlichster Techniken in seiner Arbeit ein. Die so entstandenen Bilderwelten tauchen in Klees Welt und Befindlichkeiten ein und vermitteln einen guten Eindruck davon an den Betrachter. Die Gersthofer Ausstellung will natürlich keinen Gegenpol zur Schau im H2 setzen, schafft es aber, eine sehenswerte Facette im Kontext Klee aufzuzeigen und punktet ebenso wie Augsburg mit einem vielfältigen und interessanten Rahmenprogramm.
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