Kunst in Schwaben: Konstant und lebendig
Die 75. Ausgabe des Traditionsformats »Große Schwäbische Kunstausstellung« gastiert wieder in der Halle 1 im Glaspalast, in dem seit kurzem auch der Berufsverband Bildender Künstler beheimatet ist.
Die Leistungsschau der Kunst aus und in Schwaben – eine Beschreibung, die für eine Ausstellung ein wenig unpassend klingen mag, doch umreißt sie recht genau Rolle und Bedeutung der Großen Schwäbischen Kunstausstellung, die der Berufsverband Bildender Künstler Schwaben-Nord und Augsburg (BBK) alljährlich ausrichtet. Die offenkundige Bedeutung lässt sich aus der Menge der Einreichungen ermessen: 90 Künstler*innen reichten 357 Werke ein, aus denen die Jury 103 Arbeiten für die Präsentation auswählte.
Bei der Fülle des Gezeigten, das – auch dies eine Tradition – nicht durch eine thematische Klammer zusammengehalten wird, bleibt es nicht aus, dass manches einen nachhaltigeren Eindruck hinterlässt, anderes eher nicht. Dass sich alles in allem doch ein rundes Gesamtbild entwickelt, ist unbestreitbar auch der großzügigen Spielfläche der Halle 1 und den damit verbundenen Möglichkeiten der Hängung zu verdanken.
Gleich rechts beim Eingang hängt unauffällig eine Reihe kleinformatiger Zeichnungen, die »Hirngespinste« von Turid Schuszter. Die Künstlerin, die in ihren Installationen vor allem mit Textilem arbeitet (wie in einer ebenfalls hier platzierten Bodenarbeit), hat den Faden einerseits zeichnerisch aufgenommen, bezieht aber Raum und Betrachter*in ein, indem sie uns zu einem DDR-Postkartenautomaten führt, der gegen Einwurf einer bereitliegenden Münze kleine Drucke dieser Zeichnungen auswirft.
Wenige Schritte weiter findet sich ein desolates Boot, gestrandet wie ein skelettierter Wal. Als Fahrzeug ist es in diesem Zustand nicht zu verwenden, doch es ist aufgebockt – hat es vielleicht noch eine Zukunft? Der Bildhauer Hannes Goullon sägte das raue, rohe Bootsgerippe aus einem verwitterten Kastanienstamm. Die erste Annäherung an das Werk erfolgt sicher über den mythologischen Topos des Totenschiffs, doch lässt dieses Boot der Betrachter*in die Freiheit vielfältiger Assoziationen. Goullons Arbeit wurde mit dem diesjährigen Kunstpreis der Stadt Augsburg ausgezeichnet.
Erika Kassnel-Henneberg, die schon seit geraumer Zeit mit ihrer Kunst zu überzeugen weiß, hat ein Klassenfoto von 1911/12 in eine großformatige Videoarbeit transferiert, für die sie den verhärmten in Anonymität versunkenen Kindern ihre eigenen Augen leiht und sie noch einmal lebendig werden lässt. Noch stärker schreibt sich die Künstlerin in das Foto und damit in die Historie ein, indem sie der Figur der inmitten der Kinder sitzenden Lehrerin nicht nur ihre Augen, sondern auch ihr Gesicht gibt. Die Künstlerin installiert sich hier als Bindeglied zwischen gestern und heute und verdeutlicht so, dass wir immer auch das Produkt unserer Vergangenheit sind.
»Kunst ist Nahrung fürs Herz.«
»Offene Wunde« betitelt Alexandra Vassilikian ihre eindrucksvolle Installation aus drei schmalen rund fünf Meter lang von der Decke herabhängenden Papierbahnen. Aus Tierblut und Asche, mit Schrot beschossen, erschafft sie ein strenges Triptychon der Verletzungen und des Krieges, dessen Mittelteil, obschon abstrakt in der Darstellung, zwischen aufgebrochenem Kadaver und Kreuzigung oszilliert.
Der Rundgang durch die Ausstellung wird begleitet vom regelmäßigen Herzschlag des Bildhauers Guido Weggenmann, dessen »Heart« sich ebenso unübersehbar wie unüberhörbar in Stellung bringt. Obschon seiner Anbindung beraubt, signalisiert das riesenhafte Herz kraftvoll ein lebendiges Dennoch. Von innen heraus eigenartig matt leuchtend, übt die Fiberglas-Skulptur, vage an ein überdimensioniertes Präparat erinnernd, eine mit leisem Schaudern verbundene Anziehung aus, wobei der bereits beim Betreten des Raumes deutlich vernehmbare rhythmische Herzschlag des Künstlers akustisch den Weg bereitet. Weggenmann erläutert: »Dieses Herz leuchtet und schlägt laut für die Kunst und Kultur. Denn Kunst ist Nahrung fürs Herz.« Dem ist nichts hinzuzufügen, hm?
Wie immer darf die gezeigte Kunst nicht nur betrachtet, sondern auch gekauft werden; bei Interesse einfach eine Kunstkauf-Karte in die Box am Eingang werfen. Jeden Samstag um 15 Uhr gibt es »KunstKontakt«, dann führen Künstler*innen und Kunstvermittler*innen gemeinsam durch die Ausstellung. Die »Große Schwäbische Kunstausstellung« läuft bis zum 7. Januar 2024.