Theater & Bühne

Liebe, Nazis und ein Cabaret

Berlin um 1930. Nationalsozialismus und Antisemitismus sind unübersehbar auf dem Vormarsch, das Ende der Weimarer Republik ist absehbar. Doch man tanzt. Im Kit Kat Club lernt der Schriftsteller Cliff Bradshaw die Nachtclubsängerin Sally Bowles kennen und lieben. Die beiden wohnen in der Pension von Fräulein Schneider, ebenso das kokette Fräulein Kost und der Obsthändler Schulz. Sally entscheidet sich schließlich gegen Kind und Cliff, aber für den Kit Kat Club. Auch Fräulein Schneider und Herr Schulz werden ein Paar. Doch als auf ihrer Verlobungsfeier der jüdische Bräutigam mit antisemitischen Schmähungen überzogen wird, verlässt die Braut der Mut; Fräulein Schneider wird keinen Juden heiraten. Die große Party wird zu Ende gehen, auch wenn Sally das noch nicht wahrhaben will …

Das 1966 uraufgeführte Musical »Cabaret« ist vielen wohl in der Verfilmung durch Bob Fosse von 1972 bekannt, die allerdings inhaltlich von der Bühnenfassung abweicht. Markus Erik Meyer (Bühne und Kostüme) macht die Bühne zum Berliner Altbauflur: Alles spielt sich vor einer ellenlangen Wand ab, Tür reiht sich an Tür. Nach Bedarf klappen einzelne Teile der Wand auf und offenbaren verschiedene Räume: ein Bahnabteil, das Zimmer von Cliff und Sally, den Obstladen von Herrn Schulze und den Flittervorhang im Kit Kat Club. Doch das funktioniert nur bedingt. Die riesige Freilichtbühne ist nicht der ideale Ort für die Kammerspielszenen, die einen intimeren Rahmen und größere Nähe zum Zuschauer bräuchten. Selbst die Nachtclub-Showszenen würden durch räumliche Enge gewinnen. So agieren die Darsteller gelegentlich ein wenig verloren im mikrofonverstärkten Freiraum. Die zunehmende Dunkelheit gleicht dieses Manko aber aus, das Spiel wirkt dichter und intensiver. Die Stärke dieser besonderen Bühne offenbart sich in anderen Szenen. Ein Naziaufmarsch mit Fackeln, Chor (Opernchor und Extra-Chor), (Domsing-)Knaben und Hakenkreuzfahnen gerät erschreckend eindringlich, zumal, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in den 1930er Jahren in der Freilichtbühne große Nazi-Propagandaveranstaltungen stattfanden.

Tänzer und Choreographie (Julio Viera) sind akzeptabel, aber nicht umwerfend, Sebastian Baumgart (Cliff) und Veronika Hörmann (Sally) agieren ansprechend und glaubwürdig, Thomas Prazak als Conférencier hätte in punkto Zynismus einen Zahn zulegen können, Anne Römeth als flottes Fräulein Kost ist ein Nebenrollen-Lichtblick. Unbedingt ist die großartige Gundula Hintz als Fräulein Schneider zu erwähnen, sie hält das Ganze zusammen. Besonders die Szenen mit ihr und Thomas Mehnert als Herr Schulz sind sehr stimmig. Die gut aufgelegten Augsburger Philharmoniker liefern aus dem Off die schmissige Musik, wobei nicht nur die Songs des ursprünglichen Musicals zu hören sind, sondern auch die Extra-Songs der Verfilmung - die gehören heute irgendwie mit dazu. Dennoch: Der große Wurf ist hier nicht gelungen.

Regisseur John Dew, ein renommierter Opernmann, dessen Gewinnung vor nicht allzu langer Zeit als Ehre und Glücksfall bezeichnet wurde, verschwand eine Woche vor der Premiere in der Versenkung. Sein Name taucht im Programmzettel nicht mehr auf. Der (auch persönlich) nicht unumstrittene ehemalige Intendant des Staatstheaters Darmstadt hat offenbar auf den letzten Drücker Wesentliches ändern wollen. Vielleicht hatte er aber auch grundsätzlich andere Vorstellungen als Intendantin Juliane Votteler. Die zog jedenfalls die Reißleine und »Cabaret« wurde zur Inszenierung ohne Regisseur. Die Hintergründe bleiben wie üblich bei solchen Trennungen der Öffentlichkeit verborgen, die Parteien werden wohl Stillschweigen bewahren …

»Cabaret« wird bis zum 30. Juli mehrere Male pro Woche gespielt.

www.theater-augsburg.de

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