Klassik

»So war es um mich geschehen!«

a3kultur-Redaktion

Christine Faist: Herr Roth, Sie sind ein international gefragter Violinist, zweifacher Echo-Klassik-Preisträger, Professor für Violine am Leopold-Mozart-Zentrum und treten mit namhaften Orchestern und Solist*innen auf. Wie begann Ihre Laufbahn?
Linus Roth: Meine Eltern waren beide Kirchenmusiker. Ich verbrachte daher viel Zeit in den wunderbaren Kirchen der Oberschwäbischen Barockstraße. Meine Mutter unterrichtete auch Cello an einer Jugendmusikschule und brachte eines Tages eine 1/4-Geige mit nach Hause. Sie verstand es, mir das Instrument kindgerecht nahezubringen, mein Interesse aufrechtzuerhalten und die richtigen Lehrer zu finden. So war es dann eben schnell um mich geschehen!

Gab es in Ihrer Laufbahn als Solist eine bestimmte Begegnung, die Ihr Spiel oder Ihre Sichtweise auf die Musik oder auf eine konkrete Musikrichtung geändert hat?
Ja, einige, aber zwei möchte ich besonders hervorheben: zum einen meine Professorin Ana Chumachenco, die mir unter anderem das Werk von Schumann nahezubringen wusste. Bis dahin hatte ich seine Musik immer als spröde und etwas verschroben betrachtet. Dank ihres Unterrichts fühle ich heute zu Schumanns Musik eine unglaubliche Nähe. Die andere Begegnung war eine der zahlreichen mit meiner Förderin Anne-Sophie Mutter, die mich durch ihre Stiftung während meines Studiums großzügig unterstützte. Ich durfte ihr das Beethoven-Konzert vorspielen. Und beim 2. Satz, der nur wenige Noten, aber eine unglaubliche musikalische Tiefe besitzt, eröffnete sie mir einige Geheimnisse des musikalischen Phrasierens. Damit bescherte sie mir einen komplett neuen Zugang zu dieser Musik. Das ließ sich dann auch auf andere Komponisten übertragen.

Sie sind dafür bekannt, Werke von unbekannten oder vergessenen Komponisten aufzuführen, und leisten damit eine wertvolle Grundlagenarbeit für das Konzertrepertoire. Besonders am Herzen liegt Ihnen der polnisch-sowjetische Komponist Mieczysław Weinberg, dessen Violinkonzert Sie im 2. Sinfoniekonzert spielen werden. Was fasziniert Sie an Weinberg?
Als ich 2010 von einem befreundeten Cellisten eingeladen wurde, auf seinem Kammermusikfestival das Klaviertrio von Weinberg zu spielen, kannte ich den Komponisten nicht einmal dem Namen nach! Doch schon nach der ersten Probe war ich emotional total getroffen von der Intensität, dem Drive und der Energie, aber auch der Zerbrechlichkeit seiner Musik. Wie konnte es sein, dass ich als Musiker diesen großartigen Komponisten nicht kannte, der trotz der Nähe zu Schostakowitsch doch seine ganz eigene Tonsprache gefunden hatte? Weinbergs Violinkonzert sehe ich als eines der wichtigsten und größten des 20. Jahrhunderts, zusammen mit Prokofjew, Schostakowitsch, Berg und Bartók. Das Werk hinterlässt immer ein gebanntes und berührtes Publikum, und ich als Solist fühle mich danach emotional komplett ausgelaugt. Man kann es nur spielen, wenn man sich traut, in die tiefsten menschlichen Abgründe zu blicken – eine emotionale Erfahrung, die einzigartig ist.

Sie spielen im 4. Sinfoniekonzert Brahms’ berühmtes Violinkonzert. Ist es für Sie zu einer Art Lebensbegleiter geworden?
Oh ja, natürlich – wie so viele andere Violinkonzerte auch. Aber das von Brahms hat einen besonderen persönlichen Stellenwert. Ich war 16 Jahre alt, als ich es erstmals mit Orchester spielte. Es verlangt dem Solisten alles ab, sowohl was die geigerisch-technischen Fähigkeiten angeht als auch die musikalische Reife, die man als Musiker aufzuzeigen hat. Und das Orchester ist besonders gefordert, denn es begleitet nicht nur, sondern ist ebenbürtiger Partner. Das Oboensolo des langsamen Satzes ist überirdisch schön und die verschiedenen Stimmen sind immer so eng miteinander verwoben, dass man eher das Gefühl hat, mit den Orchestermusikern Kammermusik zu machen, als solo zu spielen. Deswegen freue ich mich besonders auf die Kollegen der Augsburger Philharmoniker, denn bei meinen letzten beiden Engagements mit diesem Orchester hatte ich das berührende Gefühl, dass hier Musik aus einem Guss und in einer sehr persönlichen Art und Weise gemacht wird! Das gefällt mir. Denn es ist genau das, was dieses Violinkonzert braucht – und natürlich einen wunderbaren Dirigenten, der uns alle erst zu verbinden weiß und zusammenbringt. Ich möchte sagen, Augsburg hat mit Domonkos Héja einen echten Volltreffer gelandet!

Sie waren in diesem Jahr künstlerischer Leiter des 10. Internationalen Violinwettbewerbs Leopold Mozart, dessen 300. Geburtstag wir heuer feiern. Welche Bedeutung hat der Komponist und Pädagoge Leopold Mozart für Sie ganz persönlich?
Leopold Mozart war nicht nur ein wunderbarer und wohlstrukturierter Geigenpädagoge, wie sein immer noch gültiges Buch »Versuch einer Gründlichen Violinschule« klar aufzeigt. Er war auch ein großer Visionär, der das Genie seines Sohnes erkannte und es eben auch entsprechend zu fördern wusste. An dem nach ihm benannten Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg die Violinprofessur bekleiden zu dürfen, ist für mich nicht nur Auszeichnung und Ehre. Es birgt auch die immense Verantwortung, für die kommende Generation von Geiger*innen eine entsprechende Betreuung zu leisten. Mein Wissen und meine Erfahrung weiterzugeben, ganz im Sinne von Leopold Mozart, ist essenziell für mich und ein wichtiger Teil meines künstlerischen Schaffens geworden.

Dieses Interview erschien zuerst im aktuellen Spielzeitbuch des Staatstheaters Augsburg. Die Autorin des Beitrags, Dr. Christine Faist, ist als Konzertdramaturgin und Referentin des Generalmusikdirektors Domonkos Héja am Staatstheater tätig. Sie studierte Musikwissenschaft, Europäische Kunstgeschichte und Spanische Literaturwissenschaft in Heidelberg und Salamanca.

2006 wurde Linus Roth zum Echo-Nachwuchskünstler gekürt und erhielt 2017 seine zweite Echo-Auszeichnung für die Einspielung der Violinkonzerte von Schostakowitsch und Tschaikowsky mit dem London Symphony Orchestra unter Thomas Sanderling. Er ist Professor für Violine am Leopold-Mozart-Zentrum und künstlerischer Leiter des Internationalen Violinwettbewerbs Leopold Mozart. (Foto: Kaupo Kikkas)

Artist in Residence Linus Roth ist im Rahmen der Sinfoniekonzerte »In memoriam« (18./19. November) und »Künstlerfreundschaften« (13./14. Januar) gemeinsam mit den Augsburger Philharmonikern im Kongress am Park zu hören. Der Beginn ist jeweils um 20 Uhr.

www.staatstheater-augsburg.de

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