Die Clown
Von roten Nasen, Emanzipation und dem Sinn des Lebens.
Wir kennen ihn aus der Zirkusmanege, wo er uns mit Slapstick zum Lachen bringt, aus Filmen, in denen er uns mit Ballons Angst und Schrecken einjagt, und aus Theaterstücken, in denen er uns mit seinen Auftritten zum Nachdenken anregt – die Kunstfigur Clown hat eine vielseitige und jahrhundertealte Geschichte. Seine primäre Kunst ist es, Menschen zum Lachen zu bringen und zu unterhalten, doch was macht einen Clown eigentlich aus? Große, bunte Kleidung, Perücke, Schminke, rote Nase und fertig?
»Eigene Stücke zu schreiben, die zu der jeweiligen Clownsfigur passen. Die Fähigkeit, den Humor im Leben zu erkennen und auf die Bühne zu bringen. Jeden Auftritt mit ganzem Herzen zu spielen und dabei genug Gage zu verlangen, dass es zum Leben reicht«, erklärt uns Kirstie Handel. Nach der Ausbildung zum staatlich anerkannten Clown 2002 am TUT, Schule für Clown, Komik und Theater in Hannover, gründete sie 2006 das Clowness Theater in München, wohnt seit 2013 mit ihrer Familie in Augsburg und arbeitet mit freiberuflichen Künstler*innen zusammen. Mit dem mobilen Theater für Kinder und Familien ist sie mit Eigenproduktionen rund um ihre Figur Glucks in Duo- und Solostücken im deutschsprachigen Raum in Schulen, Kindergärten und Kultureinrichtungen unterwegs.
Dass heutzutage auch viele weibliche Clowns auf der Bühne stehen, ist mutigen Wegbereiterinnen wie der Schweizer Schauspielerin und Clown-Komödiantin Gardi Hutter zu verdanken. »Sie war eine der ersten weiblichen Clowns, die weltbekannt wurde. Sie hat mit ihrem Clownscharakter der ›tapferen Hanna‹ eine Frauenfigur fern aller Schönheitsideale mit dickem Bauch, Wuschelperücke und braunem Flickenkleid geschaffen und mit ihr die Bühnen der Welt erobert. Ich persönlich sehe den Clown als ein sehr freies Wesen, bei dem das Geschlecht keine Rolle spielt und das einfach macht, was er oder sie will. Manchmal fällt mir jedoch auf, dass mein Umfeld anders auf mich als weiblichen Clown reagiert. Anfangs haben mich Kinder bei Auftritten öfters gefragt, wo denn mein Mann sei – in letzter Zeit passiert das weniger, vielleicht herrscht ein anderer Zeitgeist – oder mich wie bei meinem Stück ›Die Geschichte vom Meer‹ darauf hingewiesen, dass ein Mädchen kein Pirat sein kann.«
Für die Zukunft plant die Clowness zusammen mit ihrer langjährigen Kollegin Judith Gorgass ein neues Stück mit den Protagonistinnen Glucks und Oma. »Erstmalig möchten wir dabei mit Puppen arbeiten. Mit ihr habe ich außerdem drei weitere Stücke im Repertoire – ›Glucks und das schrecklich liebe Gespenst‹ (12. November um 15 Uhr im Abraxas-Theater), den ›Bücherschatz‹ und ›Glucks, die Drachenbezwingerin‹. Ich kenne keine nachhaltigere Theaterform als mobiles Kindertheater, das die Produktionen über viele Jahre spielt, immer neu zum Leben erweckt und direkt zu den Menschen bringt. Mein Herz schlägt für diese Theaterform – auch wenn ich mir vor und nach den Auftritten des Öfteren wie eine Möbelpackerin vorkomme.« Derzeit probt Kirstie Handel zusammen mit Detlef Winterberg die Wiederaufnahme des Kinderstücks »Die Reise ins Schneeland«, das am Freitag, 24. November in der Bücherei Stadtbergen Premiere feiert.
Neben einer mehrjährigen Ausbildung zum professionellen Clown gibt es für Anfänger*innen die Möglichkeit, eine Grundausbildung zu absolvieren. Kurz vor seinem Abschluss an der Antiheldenakademie steht auch der Augsburger Jan Gerrit Schiffmann, der am 19. November im Kolpinghaus sein Können unter Beweis stellen muss. Schon als Kind und Jugendlicher war das gebürtige Nordlicht aus Delmenhorst gerne der Klassenclown, doch hat das mit dem wirklichen »Clownsein« wenig zu tun, wie uns der 37-jährige Laborleiter im Interview erzählt: »Wir haben uns die ersten Wochenenden mit verschiedenen Emotionen und ihren Stärkegraden beschäftigt, also Trauer, Wut, Freude etc. Mit diversen Schauspielübungen und Körpertraining nähern wir uns unserem eigenen Clown an – diesen zu finden und auszubauen ist Ziel des Workshops. Momentan üben wir Slapstick, also wie wir im richtigen Moment stolpern oder gegen die Wand laufen, was gar nicht so leicht ist.«
Dass das Clowndasein ganz schön harte Arbeit bedeutet, hört auch Dozent Matthias Zogg oft von seinen Schüler*innen. Zusammen mit Markus Sedelmaier gründete er 2016 die Clownschule. »Das Publikum sieht alles, deswegen sind vor allem Authentizität und gut gelerntes Handwerk wichtig. Das weiterzugeben macht mir sehr viel Spaß.« Die rote Nase ist dabei immer Pflicht für die Teilnehmer*innen, die momentan zwischen 28 und 70 Jahren alt sind.
Ohne rote Nase hingegen arbeitet Alexandra Martini. Nach ihrer Ausbildung an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch ist die 33-Jährige in München als Performerin, Radiojournalistin und »die Clown« Life Coach Lex Martini (lucid_clown auf Instagram) tätig. »Zwei Jahre nach meinem Studium suchte ich nach einem neuen Sinn auf der Bühne und landete durch Zufall an der berühmten Clownschule von Philippe Gaulier in Paris. Diese paar Monate haben ziemlich viel bei mir auf den Kopf gestellt. Die Essenz des Clowns war wie das Gegenteil von dem, was ich fürs Theater gelernt hatte. Statt Kontrolle und Souveränität ging es darum, verletzlich zu sein, nichts vorzuspielen, spontan die eigene Unzulänglichkeit zum Material zu machen – zu dem, was dich zum Menschen macht. Das hat mich über die Jahre nicht mehr losgelassen und über die Arbeit hinaus mein Leben bereichert.«
Weibliche Vorbilder wie ihre Mentorinnen Lucy Hopkins und Deanna Fleysher haben ihr dabei geholfen, sich in die neue Rolle als Clown einzufühlen. So war sie dieses Jahr bereits mit ihrer ersten Solo-Show auf dem Edinburgh Fringe Festival zu sehen. Doch haben in der Clownerie vor allem Männer die Oberhand. »Wie viele Lebensbereiche ist auch die Welt des Humors immer noch sehr männlich dominiert. Das hängt mit einer lange eingeschliffenen patriarchalen Tradition zusammen, zum Beispiel dass auch hier das stereotype Aussehen eines Clowns weiß und männlich ist. Und es steckt schon im Namen ›der Clown‹, wo es doch genauso ›die Clown‹ heißen kann. Manche wenige denken immer noch, Männer seien lustiger als Frauen, ganz zu schweigen von queeren Menschen, die da gar nicht auftauchen. Und zumindest bis zu meiner Generation stelle ich fest, dass Mädchen oft lernen, nicht zu wild, zu laut zu sein und nicht zu stören – was sie dann auf der Bühne möglicherweise hemmt, richtig auf die Kacke zu hauen.« Das Kreieren eines Safe Space, in dem sich alle frei ausprobieren können, ist Alexandra Martini in ihrem Clownstraining für Frauen und nicht binäre Menschen besonders wichtig. Mit der Gruppe veranstaltet sie die Varieté Night »The Lost Cabaret« in München und hofft, dass sich der Abend als längerfristige Veranstaltung etabliert. Laut zu sein, wild zu sein, tolerant zu sein, viel auszuprobieren und den Menschen dabei Freude zu bringen – eine universelle Anleitung zum Clowndasein, ob mit oder ohne rote Nase.