Am 1. Oktober 1949 schrieb die Schwäbische Landeszeitung: »Augsburg hat wieder seine ›Große Kunstausstellung‹«. Über 200 Künstler*innen zeigten 400 Malereien, Plastiken und Grafiken im Schaezlerpalais. Noch spielte die regionale Aufteilung von Landesverbänden keine Rolle. Die Herkunft der ausgestellten Künstler geht über den heutigen geografischen Rahmen hinaus. Auch zwei Künstler aus München waren in dieser Ausstellung vertreten.
Massenverbrechen Zwangsarbeit
Ende November wagt Kaufbeuren Erinnerung mit einer künstlerischen Spurensuche. Ein Gastbeitrag von Petra Weber
Seit knapp zehn Jahren befindet sich das Stadtmuseum Kaufbeuren in einem Prozess, in dem die lokale Aufarbeitung der NS-Zeit im Mittelpunkt steht. Ausgangspunkt waren kritische Stimmen gegenüber der Gestaltung der Abteilung zum 20. Jahrhundert kurz nach der Wiedereröffnung des Hauses 2013. Seither wurden verschiedenste Projekte angestoßen und verwirklicht, u. a. 2019 die partizipative Sonderausstellung »Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Eine Stadt geht auf Spurensuche«, die in einer Publikation dokumentiert wurde, die Entwicklung eines Gedenkbuchs für die Opfer der NS-»Euthanasie« in Zusammenarbeit mit dem Archiv des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, die Verlegung von Stolpersteinen im Stadtraum und die Entwicklung einer Stolperstein-App, anhand welcher ausgewählte Schicksale betrachtet werden.
Ein mehrjähriger Stufenplan, dessen Schlusspunkt eine Überarbeitung der Dauerausstellung sein soll, wurde im November 2020 vom Kaufbeurer Kulturausschuss des Stadtrats beschlossen. Ab November 2024 präsentiert das Stadtmuseum einen weiteren Baustein aus besagtem Stufenplan. Mit dem Ausstellungsprojekt »Massenverbrechen Zwangsarbeit. Kaufbeuren wagt Erinnerung« möchte das Stadtmuseum Lücken in der ortsgeschichtlichen Geschichtsschreibung zum Nationalsozialismus schließen. Der Themenkomplex NS-Zwangsarbeit wird erstmals näher beleuchtet: Eine Grundlage dafür waren vielfältige Aktenbestände im Stadtarchiv Kaufbeuren, die für das Projekt erstmals von der Kulturwissenschaftlerin Dr. Maria Anna Willer eingesehen wurden.
Beim Einmarsch der amerikanischen Streitkräfte in Kaufbeuren Ende April 1945 befreiten diese mehrere tausend Menschen, die für die Rüstungsindustrie unter Zwang arbeiteten und die unmenschlichen, teils lebensbedrohlichen Arbeits- und Lebensbedingungen überlebt hatten. Sie waren Teil eines von der NS-Herrschaft im »Deutschen Reich« und den besetzten Gebieten etablierten Ausbeutungssystems, das Menschen nach angeblichen »Rasse-Kriterien« einteilte und die menschliche Arbeitskraft profitorientiert bis zu deren vollkommener Erschöpfung oder Tod nutzte. In Kaufbeuren leisteten die aus vielen Ländern Europas Verschleppten Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie oder für die Aufrechterhaltung der heimischen Wirtschaft. Nur kurze Zeit später entstand 1946 auf den Trümmern der ehemaligen Munitionsfabrik Dynamit AG und den Baracken des Zwangsarbeiterlagers der neue Stadtteil Neugablonz.
Die »Ausstellung in der Ausstellung« wird anhand von Zeitzeugnissen, Fotografien und Biographien einzelne Schicksale vorstellen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Zwangsarbeitenden beleuchten, aber auch einen Blick auf die unzulängliche gerichtliche Aufarbeitung der Zwangsarbeit in der Nachkriegszeit werfen. Rund 4.200 Namen von Zwangsarbeitenden in Kaufbeuren werden im Rahmen der Ausstellung erstmals öffentlich gewürdigt. Die Intervention kann angesichts der Fülle der Namen und des Materials lediglich ein erstes Schlaglicht auf das Thema werfen. »Massenverbrechen Zwangsarbeit« wird voraussichtlich bis 2028 Teil der Dauerausstellung bleiben.
Neben der historischen Ausstellung zur Zwangsarbeit in Kaufbeuren zeigt das Stadtmuseum Kaufbeuren vom 23. Januar.bis 28. April 2025 eine künstlerische Spurensuche von Cornelia Renz unter dem Titel »Gedächtnisfinsternis«. Cornelia Renz hat sich bereits 2020 mit der NS-Vergangenheit Kaufbeurens auseinandergesetzt. Für das Ausstellungsprojekt »Massenverbrechen Zwangsarbeit« setzt sie diese Arbeit fort und beschäftigt sich mit Zeitzeugnissen und Archivalien und entwickelt diese künstlerisch weiter. Cornelia Renz ist selbst in Kaufbeuren aufgewachsen, studierte nach der Wende in Leipzig und lebte viele Jahre in Israel. Fragen nach dem Verhältnis von Heimischen, Vertriebenen und Zugewanderten sind ihr wichtig. Was bedeutet Heimat und für wen? Neben eigenen Arbeiten umfasst Cornelia Renz' Ausstellung Video- und Fotoarbeiten der jüdisch- und palästinensisch-israelischen Künstlerinnen und Künstler Raya Bruckenthal, Rafaat Hattab, Michelle Medenblik und Zvi Tocholsky.
Rund um das Ausstellungsprojekt »Massenverbrechen Zwangsarbeit« lädt das Stadtmuseum zu einem abwechslungsreichen Begleitprogramm ein. Das Ausstellungsprojekt wird vom Kulturfonds des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst gefördert.
Petra Weber M.A.
Leiterin des Stadtmuseums Kaufbeuren seit 2014. Neben der Entwicklung von kulturgeschichtlichen Ausstellungen zur Museumssammlung bildet die partizipative Aufarbeitung der städtischen NS-Vergangenheit einen wichtigen Themenschwerpunkt in ihrer Arbeit.