Musikalisches Wetterleuchten
In Mozarts Namen und unter klugem Einbezug jüngerer Komponistenkollegen huldigt das Mozartfest den »Ohrwürmern«. Renate Baumiller-Guggenberger zieht nach den ersten Konzerten eine Zwischenbilanz.
»Geht’s und verkauft’s mei G’wand!« – Mit einer Riesenportion Operetten-Esprit und Walzerseligkeit, die Wiener Lieder von Mozart über Strauss bis Heller verströmen, wenn sie ein Günther Groissböck singt, klang das erste Wochenende aus. Natürlich hätte dieses Programm auch Mozart selbst entzückt. In seinem Namen und unter klugem Einbezug auch jüngerer Komponistenkollegen huldigte es der Vielseitigkeit des sinfonischen sowie des volksmusikalisch inspirierten Reichtums an »Ohrwürmern«. Das alles funktionierte so vollendet, weil sich international gefragte Interpret*innen, die sehr genau wissen, wie man Hörer*innenherzen im Sturm erobert, zum virtuosen Stelldichein trafen. Auf diesem Niveau darf und wird es bis zum 21. Mai weitergehen …
Die Uraufführung von Mozarts erster – in Es-Dur und mit reichlich Elan komponierten Sinfonie fand 1765 statt – das Wunderkind war gerade neun Jahre jung. Im selben Jahr machte Matthäus Günther den Kongregationssaal des Jesuitenkollegs mit seinen Deckenfresken zum Rokokojuwel, belebte Haydn mit seiner Sinfonie Nr. 28 nicht allein fürstliche Gemüter. Am Freitag gab es unter diesem »Anno 1765« ein atmosphärisch aufgeladenes Funkenfeuer – drinnen im Kleinen Goldenen Saal und draußen, wo es ordentlich blitzte. Ganz klar auf Bestellung der Akademie für Alte Musik Berlin, wie es der kollegial-kongenial »anleitende« Primarius Bernhard Fock schelmisch verkündete. Sein Ensemble gab einmal mehr alles, um mit dem orchestralen Zauber historisch informierter Musizierkunst zu verblüffen. Für die ariosen Kunststücke des Spätbarocks aus dem Hause Gluck und Telemann stellte Akamus mit der Konzert-, Opern- und Liedsängerin Christina Landshamer eine in allen »Temperaturen« und mit eleganter Affekte-Würze auf Sterneniveau agierende Solistin ins Zentrum. Wie mühelos, flexibel und sicher bewältigte sie den explosiven Wutausbruch der »Circe«, wie risikobereit stellte sie sich der vibrierenden, hochdramatischen Partie ihrer »Ino«-Kantate. Stimmlich flexibel in allen Lagen zeichnete die Sopranistin den orchestral knisternd untermalten Spannungsbogen von rasendem Furor zur beseelten Sanftmut nach – ein theatralisch-vokaler Hochgenuss!
Ortswechsel an Tag 2 in den Kongress am Park: Nach Mozarts »Don Giovanni«-Ouvertüre als Festivalreferenz ging es mit Bravi und einer berührenden Zugabe (im »Lamentino« des sizilianischen Cellisten Giovanni Sollima wird auch gesungen) im Festprogramm des Rundfunksinfonieorchesters Berlin in die Pause. Phänomenal, wie der erst 30-jährige Cellist Ivan Karizna in das 1966 von Schostakowitsch irgendwo zwischen tonal und atonal, immer scharfsinnig komponierte »Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2« eindrang. Er bescherte ein extravagantes Hörerlebnis, so gekonnt wie er sämtliche spieltechnischen Hürden überflog, meditativ in den Tiefen der Solopartien versank, um mit Verve aufzutauchen. Eine Wundertüte, die in jedem Moment Überraschungen bereithält, ist dieses raffinierte Werk, das den Cellisten in einen intensiven, teils explosiven Dialog mit der Pauke und dem in allen Instrumentengruppen (brillante Hörner!) fantastisch präsenten Orchester trieb. Vladimir Jurowski, der ja auch GMD der Bayerischen Staatsoper ist, zeigte hier schon, wie kompromisslos er die Zügel hält, um maximales Klangvolumen, höchste orchestrale Aufmerksamkeit und Bewunderung des Publikums zu bekommen. Zur Freude eines großen Teils der Hörerschaft steckte er diese Vehemenz auch in den 60 Minuten währenden Kraftakt, die Schuberts große C-Dur-Sinfonie für jedes Orchester bedeutet und betonte das im Düstern lauernde, das sich im Jubel dieser mit reichlich »Ohrwurm«-Motiven gesegneten Komposition abzeichnet.
Da kam dann der frühe Sonntagabend gerade recht, um die erhöhte Herzfrequenz wieder zu senken. Die Charmeoffensive eines Günther Groissböck betörte alle Sinne. Komplett ausverkauft war der »Wiener Lieder«-Abend, in dem der österreichischen Weltklasse-Sänger demonstrierte, was und wie ein Basso cantabile singen, artikulieren und gestalten kann! Gemeinsam mit dem taktvoll aufspielenden Instrumentalisten-Quintett, das mit »Philharmonia Schrammeln Wien« firmiert, verlieh Groissböck der großen Kunst der kurzen, melancholischen, schwarzhumorig eingefärbten Lieder auf verschmitzte Weise vokale Substanz. Groissböck kann Oper genauso gut wie Lied, hat dafür das Lausbubenhafte grandios kultiviert. Brillant kombiniert er natürliche, maskuline, sportlich trainierte Urgewalt mit seinem umwerfenden Bühnencharisma, um den herrlichen Schmäh dieser originellen Lieder authentisch und bis ins Detail durchdacht zu versprühen. Das war einfach »zum Niederknien«. Nachzuhören sind u.a. das »Fiakerlied« oder die großartige Hymne ans »Muatterl«, die a Weanerin war im Album »Gemischter Satz«!
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